08.April 2018
So lügt Moskau!

von Torsten Mann

Ziele und Methoden der russischen Desinformation

 


Haben Sie schon einmal davon gehört, dass AIDS eine biologische Waffe ist, die von der US-Armee zur Reduzierung der Überbevölkerung in der Dritten Welt entwickelt wurde? Wussten Sie schon, dass die US-Regierung den islamischen Terror erschaffen hat, um damit »imperialistische Kriege« zu rechtfertigen und dem »militärisch-industriellen Komplex« in Amerika Profite zu verschaffen? Sind Sie davon überzeugt, dass die CIA für die Ermordung Kennedys verantwortlich ist und ist Ihnen bekannt, dass Papst Pius XII. ein Freund der Nazis war, der nichts gegen die Verfolgung der Juden unternahm? Sind Sie darüber informiert, dass auf einen Atomkrieg zwangsläufig ein »Nuklearer Winter« folgt? Und wissen Sie, dass Russland von der NATO eingekreist wird, was Moskau zu einem legitimen »Präventivschlag« gegen den Westen provozieren könnte?

Wenn Sie das alles bereits wissen, dann sollten Sie weiterlesen, denn all die genannten Geschichten sind vorsätzliche Lügen und sie stammen aus derselben Quelle, deren Absicht es ist, die Weltöffentlichkeit systematisch zu täuschen und irrezuführen: Diese Lügen entstammen den Desinformationsabteilungen der russischen Geheimdienste!




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Anfänge der russischen Desinformation

Seit jeher ist die Lüge so untrennbar mit der kommunistischen Ideologie verbunden wie die Freiheit mit jeder echten Marktwirtschaft. Deutlich tritt dieser Zusammenhang in den Worten des ehemaligen Stasi-Oberstleutnants Günter Bohnsack zutage, einem früheren Mitarbeiter der Desinformationsabteilung in Ostberlin, die nach der Devise handelte, dass sogenannte »Aktivmaßnahmen«, zu denen die vorsätzliche Verbreitung von Desinformation gehört, eine »spezifische Form des Klassenkampfes« darstellten.(1) Zu lügen gehörte für das KGB tatsächlich zum alltäglichen Geschäft. Schon im ersten sowjetischen Geheimdienst, der Tscheka, gab es ein Desinformationsbüro und auch die Kominform verfügte über eine Desinformationsabteilung, die Lügen und Gerüchte verbreitete, um Unruhe zu stiften und die bürgerlichen Staaten der westlichen Welt zu demoralisieren.(2) Doch bis zum Ende der 1950er Jahre überwog beim KGB noch die reine Informationsbeschaffung, während die systematische Desinformation nur eine untergeordnete Rolle spielte, so dass die Moskauer »Aktivmaßnahmen« noch vergleichsweise unprofessionell blieben und nur eine begrenzte Wirkung erzielten.(3)

Das änderte sich zu Beginn der 1960er Jahre jedoch grundlegend. Wie mehrere Überläufer östlicher Geheimdienste berichteten, ergab sich mit Beginn der sowjetischen Langzeitstrategie im Jahr 1956 eine Prioritätsverlagerung, bei der die aktive Rolle der Geheimdienste wesentlich erweitert wurde.(4) Zu diesem Zweck wurde bereits 1959 bei der Ersten Hauptverwaltung des KGB, zuständig für Auslandsaufklärung, eine eigene »Abteilung für aktive Maßnahmen« (Abteilung D) unter der Leitung von KGB-General Iwan Iwanowitsch Agajanz gegründet. Diese Abteilung bestand laut dem früheren KGB-Oberst Oleg Gordievsky hauptsächlich aus ausgeschiedenen KGB-Agenten, die kontinuierlich Artikel und Manuskripte verfassten, in denen die Wahrheit so geschickt mit Lügen und semantischen Manipulationen vermischt wurde, dass es sehr schwierig wurde, zu erkennen, was echte Information war und wo die Desinformation begann. Die »Abteilung D« wurde im Jahr 1968 in »Abteilung A« umbenannt und in den frühen 1970er Jahren zu einem »Dienst A« aufgewertet, was die zunehmende Bedeutung der Desinformation in der sowjetischen Strategie anzeigt. Auch die Zielgruppe ihrer subversiven Aktivitäten änderte sich im Lauf dieser Zeit. Waren zunächst noch die politischen Entscheidungsgremien westlicher Staaten das Zielobjekt der sowjetischen Beeinflussung, so verlagerte sich der Schwerpunkt im Verlauf der 1960er Jahre auf die Manipulation der öffentlichen Meinung und des Zeitgeistes.(5)


Moskau errichtet ein Lügen-Netzwerk

Wenige Jahre nach Gründung der Abteilung D beim KGB wurden auch bei den Geheimdiensten der übrigen Warschauer-Pakt-Staaten dem sowjetischen Vorbild entsprechende Desinformationsabteilungen etabliert, die durch sowjetische »Berater« zunächst nur mit Moskau, später auch untereinander koordiniert wurden und die fortlaufend Verleumdungskampagnen gegen die westlichen Staaten durchführten.(6) So bekam die Desinformationsabteilung der »DDR« im Stellenplan des Ministeriums für Staatssicherheit die römische Ziffer X zugewiesen. Sie blieb organisatorisch nahezu unverändert bis zu ihrem Ende im Jahr 1989 aktiv. Noch im Jahr 1988 kommentierte ihr Leiter Oberst Rolf Wagenbreth die Arbeit seiner Abteilung im Kreis leitender Geheimdienstfunktionäre mit den Worten: »Unsere Freunde in Moskau nennen es ›Desinformazija‹, unsere Feinde in Amerika nennen es »active measures« und ich, liebe Freunde, nenne es ›meine Lieblingsbeschäftigung‹.«(7)

In der Tschechoslowakei bekam die für Desinformation zuständige Abteilung die Ziffer 8 zugeteilt. Viele Details über die Operationen dieser Sektion wurden bekannt, nachdem ihr stellvertretender Leiter, Major Ladislav Bittman, als Reaktion auf den Prager Frühling 1968 in den Westen überlief. Er berichtete, dass die Produktion von Lügenkampagnen im Anschluss an die Vernetzung der osteuropäischen Desinformations-Abteilungen steil angestiegen war, so dass der Ostblock jährlich etwa 300 bis 400 koordinierte Verleumdungskampagnen durchführen konnte. Allein der tschechoslowakische Geheimdienst, der nach dem KGB als zweitgrößter Desinformationsproduzent im Ostblock galt, inszenierte im Jahr 1965 beispielsweise 115 Sonderoperationen.(8) Als General Agajanz im selben Jahr eine Inspektion der ihm unterstellten osteuropäischen Filialen unternahm, die ihn auch nach Prag führte, war er offensichtlich von der Arbeit der tschechoslowakischen Abteilung tief beeindruckt. Nach Durchsicht einiger Zeitungsausschnitte, die von einer aktuellen Operation zeugten, sagte er: »Manchmal wundere ich mich darüber, wie leicht es ist, diese Spiele zu spielen, wenn sie (im Westen) keine Pressefreiheit hätten, müssten wir sie für sie erfinden.«(9)

Das hauptsächliche Einsatzgebiet für Beeinflussungsoperationen der Abteilungen in der »DDR«, in der Tschechoslowakei und in Ungarn war Westdeutschland, aber auch andere westeuropäische Staaten sowie Staaten der Dritten Welt, während das allen Satellitenabteilungen übergeordnete KGB einerseits hauptsächlich mit Operationen in den USA befasst war und andererseits solche Kampagnen durchführte, die im Rahmen der sowjetischen Langzeitstrategie einer höheren Geheimhaltungsstufe unterlagen. In diesem Zusammenhang erwähnte Major Bittman die Existenz eines globalen langfristigen Desinformationsplans, den seine sowjetischen Vorgesetzten immer wieder erwähnt hatten, ohne dass er selbst jemals Einblick in schriftliche Direktiven bekommen hätte.(10)

Die Moskauer Zentrale übte durch ihre Verbindungsoffiziere eine enge Kontrolle über die Arbeit der einzelnen Filialen aus, so dass Moskau stets in jedes Unternehmen eingeweiht war, das die Desinformationsdienste der Satellitenstaaten durchführten. Oberstleutnant Bohnsack schrieb, dass die sowjetischen Offiziere in der Sektion der Stasi nicht nur eine beratende Funktion, sondern eine effektive Befehlsgewalt hatten und dass Moskau für jedes einzelne Unternehmen, das von der Stasi geplant wurde, ein Konzept oder zumindest einen Brief forderte.(11) Mindestens einmal im Jahr fanden darüber hinaus multilaterale Beratungen statt, bei denen Schwerpunkte festgelegt und Operationsgebiete abgesteckt wurden.(12) Major Bittman erklärte: »Die tschechoslowakische Abteilung D konnte, wie die übrigen Abteilungen dieser Art in den anderen Satellitenländern, nicht nach eigenem Gutdünken Einsatzziele bestimmen. Zwar werden von jedem Geheimdienst langfristige Pläne, die sich auf fünf bis sieben Jahre erstrecken, ausgearbeitet, aber die Sowjetunion bestimmt weitgehend die Richtlinien der Vorbereitung und praktischen Durchführung, um sicherzugehen, dass keine der einzelnen Operationen den sowjetischen Zielsetzungen widersprechen.«(13)

Auf diese Weise behielt Moskau stets die Kontrolle über alle Aktivitäten der osteuropäischen Geheimdienste und wahrte den Überblick über den aktuellen Stand laufender Unternehmungen.(14) Die enge Verknüpfung zwischen dem KGB und den übrigen Geheimdiensten im sowjetischen Einflussbereich zeigt, dass kein kommunistischer Staat in Osteuropa in der Lage war, eine autonome Politik zu betreiben oder die Interessen des eigenen Landes zu verfolgen, stattdessen standen die Regime Osteuropas, einschließlich ihrer Geheimdienste und Armeen, bis zur Wende unter der vollständigen Kontrolle Moskaus, teilweise auch darüber hinaus.(15) Dasselbe gilt für den Geheimdienst Kubas und anderer Satellitenstaaten in Asien, Afrika und Lateinamerika, die in ähnlicher Weise vom KGB kontrolliert wurden.(16)

Die Praxis, die Geheimdienste verbündeter Staaten vorzuschicken, um Kampagnen für die Sowjetunion durchzuführen, erwies sich vor allem in der Dritten Welt als sehr erfolgreich, denn dort waren viele Aktivisten eher zur Kooperation mit einem Satellitengeheimdienst bereit, in der irrtümlichen Annahme damit dem »Antikolonialismus« anstatt den Supermachtinteressen der Sowjetunion zu dienen.(17) Dieselbe Fehleinschätzung machte sich Moskau auch in den 1960er Jahren bei der Aufhetzung der Studentenbewegung zunutze, für die der Massenmörder Che Guevara zu einer Art Pop-Ikone hochstilisiert wurde, was zum Beispiel mit Leonid Breschnew oder Erich Honecker kaum möglich gewesen wäre, obwohl diese doch für exakt dieselbe politische Idee standen.


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Dialektik der Täuschung

Um den gewünschten Effekt zu erzielen war es nicht zielführend, Geschichten vollständig zu erfinden, denn reine Lügen, die nicht auf einer soliden Faktenbasis aufbauen, können leicht als Fälschungen enttarnt werden und erzielen daher nicht die angestrebte Wirkung. Eine Lüge wird in vielen Fällen erheblich glaubwürdiger, wenn man tatsächliche Ereignisse in geeigneter Weise verdreht und mit halbwahren, irreführenden oder ganz gefälschten Zusatzinformationen kombiniert. Dadurch wird das Geschäft der Desinformation zu einer komplizierten und anspruchsvollen Aufgabe, das viel Fachkenntnis und einen großen Arbeitsaufwand erfordert. Die KGB-Abteilung D verfeinerte diese Kunst bis zu einem Grad, in dem sie in der Lage war, westliche Regierungsdokumente so zu fälschen, dass sie selbst von den zuständigen westlichen Behörden nicht sofort als Desinformation erkannt werden konnten. Aber man beschritt auch ungewöhnliche Wege, indem man neben der Produktion von Artikeln, Büchern, gefälschten Dokumenten, Parolen und Gerüchten sogar subversive Witze in Umlauf brachte, denn »bisweilen hat ein guter Witz eine größere Wirkung als zehn Leitartikel«.(18)

Major Bittman erklärte: »Die internationale Politik wird zu diesem Zweck systematisch verfolgt, Konflikte oder Spaltungen zwischen öffentlicher Meinung und Regierungspolitik in nichtkommunistischen Ländern werden analysiert, um unzufriedene Bevölkerungsschichten als ›pressure groups‹ manipulieren zu können. Aus diesem Grund könnte man einen Großteil der (...) Sonderoperationen als diversives Public-Relations-Programm bezeichnen, das bezweckt, die Beziehung zwischen einer feindlichen Regierung und ihrem Volk zu vergiften, bestehende Kontroversen und Konflikte zu verhärten und neue Dispute zu nähren.«(19)

Das heißt, die Produktion von Desinformationskampagnen erfolgte spezifisch und unter Berücksichtigung der individuellen Befindlichkeiten einzelner Zielgruppen. So wurde die Studentenbewegung der 1960er Jahre ebenso mit zersetzenden Parolen aufgewiegelt, wie später die Friedensbewegung, die Ökobewegung oder inzwischen die sogenannte »Wahrheitsbewegung« bis hin zu rechtsextremen oder nationalistischen Gruppierungen, denen man Spielmaterial zukommen lässt, das zwar ihrer Erwartungshaltung entspricht, das aber mit subversiven, zumeist antiamerikanischen Parolen versetzt ist, die geeignet sind, in den verschiedensten Bevölkerungsgruppen ein für die Ziele der Moskauer Strategie günstiges Meinungsklima zu schaffen. Oberstleutnant Bohnsack schrieb hierzu: »General (Markus) Wolf hat bereits in den sechziger Jahren immer wieder verlangt, auf allen Tasten des Klaviers zu spielen, um mit nachrichtendienstlichen Mitteln möglichst viele Menschen in Westdeutschland politisch anzusprechen, zu beeinflussen, gegen den kalten Krieg aufzubringen. Damit meinte er nichts anderes, als neben Quellen auch solche Stützpunkte zu werben, die von ihrer gesellschaftlichen Stellung her in der Lage wären, als Multiplikatoren zu wirken, politische Bewegungen auszulösen und zu steuern, Meinungen in der Öffentlichkeit zu bilden oder auch Enthüllungskampagnen zu initiieren.« (20)



Einflussagenten, Kollaborateure und »nützliche Idioten«


Die wichtigsten Erfüllungsgehilfen der russischen Desinformation waren seit jeher die freien Medien im nichtkommunistischen Ausland. Das KGB beschränkte sich dabei nicht auf die Manipulation von Presse und Rundfunk, sondern platzierte seine Agenten auch im Umfeld großer Film- und Theaterproduktionen, um sie für die Verbreitung von Desinformation zu nutzen oder gründete und finanzierte getarnte Frontorganisationen wie zum Beispiel Verlage von Zeitungen, Zeitschriften oder Nachrichtenbriefen, die auf den ersten Blick unabhängig und überparteilich erschienen und nicht unmittelbar mit Moskau in Verbindung gebracht werden konnten.

Zwar wurden selbstverständlich auch offen kommunistische Medien im In- und Ausland für die Verbreitung irreführender Informationen benutzt, jedoch legten die Experten der Abteilung D besonderen Wert darauf, ihre Lügen vorzugsweise in angesehenen und als neutral geltenden, im Idealfall sogar in konservativen oder rechtslastigen Medien unterzubringen, bei denen der Leser oder Zuschauer keine kommunistische Einflussnahme erwarten würde. Major Bittman schrieb hierzu: »Die Beeinflussung durch den kommunistischen Geheimdienst fand in einigen Fällen qualitativ auf so hoher Ebene statt, dass man direkt mit dem Chefredakteur oder Verleger einer Zeitung verhandeln konnte und sie mit finanzieller Beihilfe unterstützte. Dafür ließ sich von Zeit zu Zeit Desinformationsmaterial veröffentlichen und die Haltung des Blattes entscheidend beeinflussen.«(21)




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Dabei gilt, je größer die scheinbare Distanz des Mediums oder des Einflussagenten zur kommunistischen Quelle, umso größer ist die erzielbare Wirkung der subversiven Botschaft in der Öffentlichkeit. Der KGB-Überläufer Ilja Dschirkwelow erläuterte diese Praxis wie folgt: Sobald eine bestimmte Desinformation erfolgreich im Ausland platziert wurde, griffen die sowjetischen Staatsmedien die Sache auf und sorgten unter Verweis auf die vermeintlich unabhängige Quelle für eine möglichst große Verbreitung. Ein angeworbener westlicher Journalist, der als Einflussagent im Redaktionsstab einer Zeitung oder Zeitschrift saß, hatte demnach die Aufgabe, kompakt gehaltenes Rohmaterial, das ihm die russische Desinformation einschließlich Bildmaterial und Quellenalibi zugesandt hatte, zu einem Artikel oder einem Beitrag aufzuarbeiten und zu veröffentlichen. Konkret veröffentlichten die westlichen Kollaborateure der sowjetischen Desinformation das ihnen zugespielte Material scheinbar eigenständig und unabhängig, aber es erst dadurch die gewünschte Popularität, dass es durch die russischen Staatsmedien zum Beispiel in Form von Interviews oder Korrespondentenberichten aufgegriffen und international verbreitet wurde.(22)

Erst diese Unterstützung durch die sowjetrussische Propaganda war ausschlaggebend dafür, dass einer Kampagne oder einem Kollaborateur der internationale Durchbruch gelang. Diese Praxis beschränkte sich nicht auf Journalisten und Autoren, sondern es fungierten auch Wissenschaftler, Historiker, Politiker und andere prominente Persönlichkeiten als Einflussagenten im Dienste Moskaus. Natürlich war nicht jeder, der mit seiner jeweiligen Botschaft in den sowjetischen Massenmedien zu Wort kommen durfte, ein bewusst handelnder Einflussagent des KGB, aber die strikte staatliche und geheimdienstliche Zensur stellte doch zumindest sicher, dass in den Moskauer Massenmedien nichts verbreitet wurde, das nicht mit den Zielen des Kreml und seiner langfristigen Strategie übereinstimmte.

Oftmals wusste ein Journalist, dem gefälschtes Material zugespielt wurde, nicht einmal, woher es tatsächlich stammte und auf welches Spiel er sich bei der Veröffentlichung einließ. Desinformation wurde also nicht nur über bezahlte und bewusst handelnde Einflussagenten verbreitet, sondern auch durch ein Heer unbewusst handelnder, »nützlicher Idioten«, die Phrasen und Parolen aufgriffen und unreflektiert weiter verbreiteten, so dass es mit einem einzigen geschickt platzierten Artikel oftmals gelang, eine Kettenreaktion auszulösen, bei der die Falschmeldung von anderen Medien immer aufgegriffen und weitergetragen wurde. Häufig wiederholte Moskau ähnliche Verleumdungen, um über die Jahre, getreu dem Motto »steter Tropfen höhlt den Stein«, einen kumulierenden Effekt zu erzielen, was sich auch für die beteiligten Kollaborateure lukrativ auswirkte, denn wie der KGB-Überläufer Konstantin Preobrazhensky berichtete, zahlte die sowjetrussische Desinformation jedes Mal einen Bonus, wenn eine Lüge wiederholt wurde.(23) Laut einer Schätzung der CIA investierten die Sowjets in den 1970er Jahren auf diese Weise jährlich mehr als 3 Milliarden US-Dollar in die Verbreitung von Desinformation und Propaganda.(24) Der offensichtliche Erfolg dieser Investition veranlasste den KGB-Überläufer Yuri Bezmenov im Jahr 1985 zu der Feststellung, dass ein Großteil der westlichen Massenmedien vom KGB manipuliert wurde.(25)



Langfristige Ziele der sowjetischen Desinformation


Sowohl die Stoßrichtung als auch der zu erzielende Nutzen einzelner Desinformationskampagnen entsprach stets den langfristigen Zielen der Moskauer Langzeitstrategie. Grundsätzlich ging es darum, die westlichen Staaten durch die systematische Unterhöhlung ihrer politischen, wirtschaftlichen, militärischen und moralischen Stärke zu schwächen, die Politik des Westens und seiner Regierungen in den Augen der einheimischen Bevölkerung sowie vor dem Ausland zu diskreditieren und die Entscheidungen ausländischer Regierungen zum Nutzen Moskaus zu beeinflussen. Vor allem wurde versucht, das westliche Wirtschafts- und Finanzsystem zu beschädigen und in Verruf zu bringen, und zwar einerseits durch die systematische Irreführung der westlichen Öffentlichkeit über die Voraussetzungen für eine intakte Marktwirtschaft und ihre grundsätzliche Funktionsweise und andererseits dadurch, dass den westlichen Staaten lebenswichtige Ressourcen entzogen werden sollten, in erster Linie eine rentable Energieversorgung.(26) Die westliche Wirtschaft von ihrer Energieversorgung abzuschneiden war eine langfristige Operation der kommunistischen Geheimdienste, die bis in die 1950er Jahre zurückreichte und die nicht nur den Bereich der Desinformation, sondern ebenfalls auch andere Abteilungen sowohl der zivilen und militärischen Geheimdienste betraf. Als besonders erfolgreich hat sich in diesem Zusammenhang inzwischen die Klimaschutz-Hysterie erwiesen, die ausdrücklich auf eine kommunistische Zersetzungskampagne zurückzuführen ist, deren Grundlagen bereits auf dem 20. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 geschaffen wurden (vgl. hierzu Rote Lügen in grünem Gewand).



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Ein weiterer Erfolg der kommunistischen Desinformation war, die aggressiv betriebenen Versuche der Sowjets, die Erdölquellen im Nahen Osten unter ihre Kontrolle zu bekommen, wovon 1979 die Revolution im Iran, die Invasion in Afghanistan, sowie die Besetzung der Großen Moschee in Saudi Arabien zeugen, semantisch derartig umzudeuten, dass aus dem legitimen Interesse der westlichen Staaten an der Aufrechterhaltung ihrer Energieversorgung, wie es in der Carter-Doktrin formuliert wurde, die antikapitalistische Kampfparole »Kein Blut für Öl« wurde. Major Bittman schrieb hierzu: »Das wichtigste langfristige Ziel der wirtschaftlichen Kriegsführung und Desinformation der Sowjets ist, die amerikanische Wirtschaft von Rohstoffen abzuschneiden, die für Wohlstand und Wachstum lebenswichtig sind, sowie die wirtschaftlichen Beziehungen Amerikas zur Außenwelt in einer für die Sowjets vorteilhaften Weise zu manipulieren.« Dazu gehörte laut Bittman ausdrücklich auch die Manipulation internationaler Märkte wie zum Beispiel des Goldpreises. Während die Marktwirtschaft systematisch diffamiert wurde, sollten die Aktivmaßnahmen dabei helfen, marxistische Denkweisen – häufig in verschleierter und getarnter Form – salonfähig zu machen, eine sozialistische Erwartungshaltung in der Bevölkerung zu wecken und konservativem, bürgerlichem und religiösem Gedankengut den gesellschaftlichen Rückhalt zu entziehen.

Yuri Bezmenov betonte, dass das KGB all jenen Individuen, die der sowjetischen Strategie dienlich waren, durch die Manipulation der öffentlichen Meinung bei ihrer weiteren Karriere half, während solche Personen, die sich der kommunistischen Zersetzung ihres Landes entgegenstellten, zum Opfer organisierter Rufmord- und Verleumdungskampagnen wurden.(28) Beispielsweise investierte das KGB nach Aussage des früheren Ceaucescu-Stellvertreters Generalleutnant Ion Pacepa über Jahrzehnte hinweg enorme Summen in die persönliche Diffamierung unliebsamer amerikanischer Präsidenten. So wurde Lyndon B. Johnson als Mafioso und als Mörder Kennedys dargestellt, Richard Nixon als »kleiner Tyrann« oder Carter als »blöder Erdnussfarmer«.(29) Vor diesem Hintergrund ist auch heute noch bemerkenswert, wie unterschiedlich viele Massenmedien zum Beispiel Ronald Reagan oder George Bush jun. einerseits und Barack Obama andererseits darstellen. Während Bush jun. im deutschen Fernsehen wörtlich als »Präsidentschaftslehrling« diffamiert wurde, wurde der offensichtlich stark linkslastige Obama zu einer Art Heilsgestalt hochgejubelt.


Primäres Ziel: Verbreitung von Antiamerikanismus und Deutschfeindlichkeit

Wie mehrere KGB-Überläufer erklärten, zielte die sowjetrussische Desinformation primär darauf ab, die Politik Moskaus vor der Weltöffentlichkeit in einem positiven Licht darzustellen, bei gleichzeitiger Verbreitung von Antiamerikanismus und Deutschfeindlichkeit.(30) Letzteres geschah vor allem durch das europaweite Schüren von Ängsten vor einer wiedererstarkenden Rolle Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.(31) Zu diesem Zweck suggerierte Moskau durch seine Helfershelfer eine noch immer existierende Bedrohung durch den Neonazismus, dessen politische Vertreter in Deutschland latent noch immer an der Macht seien oder unmittelbar vor einer neuen Machtergreifung stünden. Hierfür gründete das KGB nicht nur »antifaschistische« also linksextreme, sondern auch scheinbar rechtsextreme Organisationen, die unter falscher Flagge Schmähschriften verbreiteten und Anschläge verübten, was dem Zweck diente, vor der Weltöffentlichkeit das Schreckgespenst des deutschen Neonazismus zu beschwören.(32) Darüber hinaus schreckte das KGB auch nicht davor zurück, seine Agenten in bereits bestehende rechte Kreise eindringen zu lassen um dort zielgruppenspezifisch Antiamerikanismus zu verbreiten oder um zum Beispiel das deutsch-französische Verhältnis in der Frage der Elsässer und Lothringer zu vergiften. Es wurde auch versucht, dem deutsch-österreichisch-italienischen Verhältnis unter Missbrauch der Situation Südtirols dadurch zu schaden, dass in rein zerstörerischer Absicht auf allen Seiten feindschaftliche Tendenzen geschürt wurden und indem gesunder Patriotismus zu destruktivem Chauvinismus entartet wurde. In ähnlicher Weise wurde die Situation ethnischer Minderheiten in der gesamten westlichen Welt vorsätzlich verschärft, indem die Probleme nach Kräften verstärkt und Spannungen geschürt wurden, während eine konstruktive Lösung des Problems vorsätzlich verhindert wurde.(33)

Wie Major Bittman berichtete, bezeichnete der sowjetische Desinformationsplan die USA als Hauptfeind, den zu zersetzen besonders großer Aufwand betrieben wurde. Dabei seien gerade antiamerikanische Propagandakampagnen besonders leicht durchführbar gewesen, denn es genügte zumeist schon ein einziger Presseartikel, um eine Welle der Empörung über eine »neue amerikanische Verschwörung« auszulösen.(34) Tatsächlich ist die allgemeine antiamerikanische Paranoia nach Jahrzehnten der Konditionierung mittlerweile so stark ausgeprägt, dass reflexartig bei jedem unerwarteten weltpolitischen Ereignis zuerst an eine amerikanische Verschwörung gedacht wird, und dabei wird vollkommen ausgeblendet, dass es neben Washington noch andere Kräfte in der internationalen Politik gibt, die hinter verschlossenen Türen völlig unbemerkt agieren. Die Vorstellung, welche die Weltöffentlichkeit inzwischen von den USA hat, steht im krassen Gegensatz zu früheren Jahrzehnten, als das amerikanische Gesellschaftsmodell international noch als Vorbild von Freiheit, Demokratie und Wohlstand galt. An dieser Entwicklung haben die systematischen Zersetzungsmaßnahmen des KGB einen ganz entscheidenden Anteil. Marxistische Phrasen wie etwa, dass Washington eine »imperialistische« oder »neokolonialistische« Politik betrieben, die den »Weltfrieden« und den wirtschaftlichen Wohlstand anderer Nationen gefährde oder gar die ökologische Zukunft des Planeten aufs Spiel setze, dienen ausdrücklich dazu, die USA von ihren internationalen Verbündeten zu entfremden und moralisch wie politisch zu isolieren, was langfristig als Vorstufe für die militärische Isolierung der USA angesehen wurde.(35) Der Erfolg der sowjetischen Desinformationsbemühungen in der Dritten Welt ist zum Beispiel daran erkennbar, dass die Entwicklungsländer bei Abstimmungen in der UNO-Vollversammlung im Jahr 1982 in 83,4% aller Fälle zugunsten der Sowjetunion gestimmt hatten.(36)



Zersetzung der westlichen Verteidigungsfähigkeit

Wie Major Bittman berichtete, war der zweite Hauptangriffspunkt der kommunistischen Geheimdienste die NATO, denn das westliche Verteidigungsbündnis und die auf europäischem Boden stationierten US-Truppen waren der hauptsächliche Hinderungsgrund, der Moskau davon abhielt, die Kontrolle über Westeuropa zu erlangen. Die sowjetischen Strategen gingen davon aus, dass die europäischen Staaten ohne direkte amerikanische Unterstützung weder einzeln noch vereint in der Lage wären, sich gegen die Sowjetunion militärisch zu verteidigen.(37) Deshalb wurde besonders großer Aufwand betrieben, um einen Abzug der US-Truppen aus Europa zu erreichen. Vor diesem Hintergrund dienten die seit Jahrzehnten in der sowjetrussischen Propaganda wiederholten Phrasen vom »gemeinsamen europäischen Haus« und der Achse »Paris-Berlin-Moskau« dazu, den Herrschaftsanspruch Moskaus über Europa semantisch zu tarnen. In der sowjetischen Langzeitstrategie sollte auf die Auflösung der NATO und auf den Abzug der amerikanischen Streitkräfte die Errichtung eines sogenannten »kollektiven Sicherheitssystems« in Europa folgen, bestehend aus »bilateralen Verteidigungsabkommen« zwischen den europäischen Staaten und Moskau, was de facto den Warschauer Pakt unter anderem Namen auf Westeuropa ausgedehnt und den Kontinent dem Diktat des Kreml unterworfen hätte. Vor diesem Hintergrund gehörte es zu den langfristigen Aufgaben der sowjetischen Desinformation, die Stellung und das Ansehen der USA in Europa zu unterhöhlen und die zur Auflösung tendierenden Kräfte innerhalb der NATO zu fördern.(38)






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Um dies zu erreichen hatte das sowjetrussische Geheimdienstnetzwerk, wie Generalleutnant Ion Pacepa bezeugte, gegen Ende der 1970er Jahre unter der Parole »Europa den Europäern« schon etwa 700 Millionen Unterschriften für eine »Yankee-Go-Home«-Petition gesammelt.(39) »Dem westeuropäischen Publikum«, so erklärte Bittman die sowjetischen Direktiven, »sollten systematisch antiamerikanische Gefühle eingeimpft werden. Es musste zur Ansicht erzogen werden, dass Europa doch fähig sein sollte, seine Probleme ohne militärische Beteiligung der Vereinigten Staaten zu lösen. Zusätzliche getarnte Propaganda zielte darauf hin, ein ungünstiges Licht auf die amerikanischen Truppen zu werfen, indem z.B. von amerikanischen Soldaten begangene Sexualverbrechen oder Mordtaten hochgespielt wurden. Die dominierende Stellung der USA diente als Vorwand für das Argument, die NATO-Strategie sei das Werk von amerikanischen Militärexperten, die nur die Verteidigungsinteressen der USA im Auge hätten und im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion bereit wären, Europa zum Atomkriegsschauplatz zu machen.«(40) Wie erfolgreich die sowjetrussische Hetze gegen die NATO Früchte trug, zeigt sich besonders daran, welche Ausmaße und welchen gesellschaftlichen Einfluss die Friedensbewegung zu Beginn der 1980er Jahre erreichte.

Um das militärische Kräfteverhältnis in Europa zugunsten Moskaus zu verschieben agitierte die sowjetische Desinformation gezielt gegen westliche Rüstungsvorhaben. Beispiel hierfür ist die Kampagne gegen die Neutronenbombe, die als typisch »kapitalistische Waffe« dargestellt wurde, weil sie Material verschone und nur Menschen töte. Eine weitere großangelegte Kampagne wurde gegen die NATO-Nachrüstung geführt, in deren Rahmen zu Beginn der 1980er Jahre neue Marschflugkörper und Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden sollten. KGB-Oberst Gordievsky erinnerte sich an eine Anweisung Moskaus aus dem Jahr 1982, in der die wichtigsten Punkte der Kampagne gegen die Marschflugkörper aufgezeigt wurden. In den Direktiven hieß es unter anderem, diese Marschflugkörper seien in der Öffentlichkeit als Offensivwaffen darzustellen und es solle behauptet werden, dass Manövern mit diesen Waffen von sowjetischer Seite fälschlich als Angriffsvorbereitungen gedeutet werden könnten, was einen sowjetischen Präventivschlag provozieren könne. Diese Phrasen seien bei allen Kontakten mit Einflussagenten und direkt in der Öffentlichkeit zu wiederholen.(41) Genau in derselben Art und Weise wird im Zusammenhang mit dem von Moskau bekämpften europäischen Raketenabwehr-System auch heute noch argumentiert. Für die Konzeption derartiger Desinformationskampagnen mit Bezug zu militärischen und rüstungstechnischen Fragen wurde beim sowjetischen Generalstab im Jahr 1960 eine eigens dafür spezialisierte Abteilung geschaffen, die Hauptverwaltung für strategische Täuschung (GUSM).(42)


Destabilisierung der Gesellschaft

Die psychologische Kriegsführung Moskaus zielte in letzter Konsequenz auf die Demoralisierung und Aufwiegelung der Bürger gegen ihre eigenen staatlichen Institutionen, um damit langfristig die öffentliche Ordnung der westlichen Nationen zu destabilisieren, was Yuri Bezmenov wie folgt erläuterte: »Das Hauptziel war die psychologische Veränderung der nationalen und individuellen Wahrnehmung der Realität in solchem Umfang, dass die Mehrheit einer Nation die vom Totalitarismus ausgehende Gefahr nicht mehr erkennt und das feindliche System letztlich als harmlos und in bestimmten Aspekten sogar als erstrebenswert akzeptiert, zumindest als geeignete Alternative zum gegenwärtigen System.«(43) Um die Subversion bis auf dieses Niveau voranzutreiben ist es laut Bezmenov erforderlich, in die staatlichen Institutionen einer Nation und in ihre Regierungsorgane einzudringen und es kann kein Zweifel bestehen, dass diese Voraussetzungen in der gesamten westlichen Welt mittlerweile erfüllt sind, seit die 68er-Bewegung ihren Marsch durch die Institutionen und an die Macht vollendet hat.

Während die Völker der westlichen Nationalstaaten früher über einen gesunden Patriotismus verfügten und das westliche Modell von privatem Unternehmertum und Marktwirtschaft für die Entwicklungsländer noch als vorbildlich galt, änderte sich diese Anschauungsweise mit dem Aufkeimen der von Moskau initiierten 68er-Bewegung grundlegend. Der Vietnamkrieg bot der sowjetischen Desinformation damals die ideale Gelegenheit, um bereits latent vorhandene Spannungen innerhalb der Gesellschaft zu schüren und neue Spannungen zu schaffen und um dadurch einen Prozess der nationalen Selbstverstümmelung in Gang zu setzen, der damit begann, dass es in linken Intellektuellenkreisen plötzlich Mode wurde, das »Establishment« anzugreifen, kollektive Schuldgefühle zu beschwören und eine ganz neue Toleranz gegenüber kommunistischen Aggressoren vom Vietcong über Che Guevara bis zur RAF zu entwickeln. Lassen wir dazu den rumänischen Generalleutnant Ion Pacepa zu Wort kommen, der vor seinem Seitenwechsel in leitender Position in das sowjetische Desinformationsnetzwerk verstrickt war: »Während des Vietnamkrieges verbreiteten wir zersetzende Geschichten in aller Welt, die den Anschein erweckten, die amerikanischen Präsidenten hätten Dschingis Khan-gleiche Barbaren als Soldaten nach Vietnam geschickt, die willkürlich vergewaltigten, Menschen mit Elektroschocks quälten, Gliedmaßen abtrennten, Menschen in die Luft sprengten und ganze Dörfer auslöschten. Das entsprach nicht den Tatsachen, das waren unsere Märchen. Aber etwa sieben Millionen Amerikaner waren am Ende davon überzeugt, dass ihre eigenen Präsidenten der Feind seien, und nicht der Kommunismus. Wie Yuri Andropow, der Erfinder dieses Desinformationskrieges gegen die USA, immer sagte: die Leute sind bereit jeden Dreck zu glauben. Das Endziel unserer anti-amerikanischen Offensive war, die USA davon abzuschrecken, die Welt gegen den sich ausbreitenden kommunistischen Terror zu verteidigen. Leider hatten wir damit Erfolg. Nachdem die US-Truppen sich übereilt aus Vietnam zurückgezogen hatten, massakrierten die siegreichen Kommunisten etwa zwei Millionen Menschen in Vietnam, Laos und Kambodscha. Eine weitere Million versuchte zu fliehen, aber viele starben bei dem Versuch. Diese Tragödie verursachte ein Glaubwürdigkeitsdefizit zwischen den USA und dem Rest der Welt, beschädigte die Konsequenz der amerikanischen Außenpolitik und vergiftete die politische Debatte in den USA.«(44)

Bei anderer Gelegenheit wurde Pacepa noch deutlicher: »Als Spionagechef und General des sowjetischen Satellitenstaates in Rumänien produzierte ich exakt dasselbe Gift, das John Kerry im US-Kongress fast Wort für Wort wiederholt hat und das europaweit in linken Bewegungen verbreitet wurde.«(45) Derselbe John Kerry wurde von Präsident Obama später zum amerikanischen Außenminister ernannt. Und auch in Deutschland wird die politische Kultur inzwischen von Zeitgenossen dominiert, deren Weltbild offensichtlich direkt den östlichen Desinformationsabteilungen entstammt. So sind sich prominente deutsche Politiker linker Parteien, vor allem der Grünen und der Linkspartei, nicht zu schade, immer wieder gegen die eigenen Behörden, insbesondere gegen den Verfassungsschutz und den BND, zu agitieren, ihnen »Affären« anzuhängen und dadurch deren Arbeit zu behindern. Damit setzen diese Politiker eine Tradition fort, die bereits in den 1950er Jahren in Ostberlin begründet wurde, denn die Hetze gegen die westdeutschen Nachrichtendienste war viele Jahrzehnte lang ein Dauerbrenner der Desinformationsabteilung des Ministeriums für Staatssicherheit in der »DDR«.


Verkehrte Welt

Das langfristige Resultat der sowjetischen Desinformationsstrategie könnte man mit den Worten »verkehrte Welt« sehr treffend zusammenfassen. »Das ist«, wie KGB-Überläufer Yuri Bezmenov im Jahr 1984 erläuterte, »exakt das, was mir meine KGB-Subversionsexperten bei der [APN-]›Novosti‹-Presseagentur beigebracht haben. Eine der Hauptstrategien in diesem Prozess ist die Entwicklung, Etablierung und konsequente Durchsetzung einer ›Doppelmoral‹. Eine, die für die UdSSR gilt und eine für die USA«.(46) Es ist nicht zu übersehen, dass diese Doppelmoral längst fest etabliert ist. War der Vietnamkrieg Anlass für Massendemonstrationen, so konnte man eine ähnliche Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, bei dem sogar vorsätzlich chemische Waffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wurden, nicht ansatzweise verzeichnen. Während die Friedensbewegung stets die amerikanischen Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II kritisierte, hörte man keine Proteste gegen die sowjetischen SS-20, die dem Ostblock Ende der 1970er Jahre immerhin die eurostrategische Überlegenheit über die NATO eingebracht hatten.

Auch heute noch beklagt man laut und heftig das Vorgehen amerikanischer Soldaten gegen Kriegsgefangene in Guantanamo Bay und im Irak, jedoch bleibt es verdächtig still um die Kriegsverbrechen, die sich russische Truppen jahrelang ungehindert in Tschetschenien oder in Syrien leisten. Richtet der Kreml auch im neuen Jahrtausend wieder nagelneue Atomraketen auf Europa, dann fühlt sich dadurch niemand in seiner »Komfortzone« gestört. Wagt es aber die NATO, über ein europäisches Raketenabwehrsystem nachzudenken, dann löst dies reflexartig eine Welle friedensbewegter Proteststürme aus. Wird die Polizei irgendwo in der westlichen Welt bei linken Ausschreitungen dazu gezwungen, durchzugreifen, dann spricht man von »Provokationen« durch die Polizei und von »Polizeigewalt«. Werden aber Gegner des russischen Regimes gleich reihenweise ermordet, dann wittert die demoralisierte westliche Öffentlichkeit dahinter reflexartig eine amerikanische Verschwörung. Veröffentlichen sogenannte »Whistleblower« westliche Geheimdokumente im Internet, dann ist ihnen wohlwollende Präsenz in den Massenmedien sicher. Veröffentlichen aber russische Regimegegner wie Wladimir Bukowski oder Pavel Stroilov russische Geheimdokumente, welche die Verbrechen des Kreml belegen, dann wird ihre Botschaft klammheimlich unter den Teppich gekehrt. Werden libysche Befreiungskämpfer vom Westen dabei unterstützt, wie sie einen tyrannischen Massenmörder zum Teufel jagen, dann kocht die Empörung hoch. Unterstützt aber der Kreml seit Jahrzehnten nachweislich den internationalen Terrorismus, dann kräht kein Hahn danach. Fliegen zwei entführte Flugzeuge in New Yorker Hochhäuser, dann muss wohl die US-Regierung dahinterstecken, werden aber Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes auf frischer Tat ertappt, wie sie russische Wohnblöcke in die Luft sprengen, dann verwendet niemand dafür den Begriff »Inside Job«. Die Tatsache, dass die öffentliche Meinung geradezu hysterisch auf alle Missstände und Fehltritte des Westens reagiert und sich anschließend regelmäßig in nationaler Selbstzerfleischung übt, während die Verbrechen des Ostblocks kaum wahrgenommen werden, ist das Ergebnis jahrzehntelanger sowjetrussischer Desinformationskampagnen. Die Verblödung der linksliberalen öffentlichen Meinung hat dadurch einen Grad angenommen, den Yuri Bezmenov wie folgt beschrieben hat: »Die Enthüllung wahrer Informationen spielt keine Rolle mehr. Eine Person, die demoralisiert wurde, ist nicht mehr in der Lage richtig und falsch zu unterscheiden. Fakten sagen ihr nichts mehr, sogar wenn man sie mit wahren Informationen überschüttet, mit authentischen Beweisen, mit Dokumenten, mit Fotos, (...) wird sie sich weigern es zu glauben, bis sie einen Tritt in ihren fetten Hintern bekommt. (...) Und das ist die Tragik am Zustand der Demoralisierung.«(47)


Wie Bittman ausführte, waren sich die Moskauer Subversionsexperten dessen bewusst, dass eine einzelne Lügenkampagne, so perfekt sie auch inszeniert sein mag, die Demoralisierung des Westens alleine nicht bewirken kann, und deshalb setzten sie »auf die Massenproduktion von Aktivmaßnahmen« und hofften, »über mehrere Jahre hinweg eine kumulative Wirkung (...) zu erzielen.«(48) Das ist zweifellos gelungen, denn die von Bezmenov in den 1980er Jahren diagnostizierten Verfallserscheinungen haben die Moral der westlichen Welt inzwischen vollständig zersetzt. Diese Entwicklung war nur möglich, weil ein Heer von Einflussagenten und »nützlichen Idioten« in den westlichen Medien an der kryptokommunistischen Subversion ihres Landes aus eigennützigen Gründen, aufgrund ideologischer Verblendung oder infolge intellektueller Unfähigkeit aktiv mitgewirkt hat und weil fast keine westliche Regierung jemals wirksam gegen die sowjetrussische Subversion vorgegangen ist. Die einzige Ausnahme hiervon war US-Präsident Ronald Reagan, der kurz nach seinem Amtsantritt eine Arbeitsgruppe mit dem Titel »Project Truth« gründete, deren Aufgabe es war, zeitnah auf sowjetische Desinformationskampagnen zu reagieren und die Öffentlichkeit jeweils über den wahren Sachverhalt aufzuklären. Reagan hatte erkannt, dass der kommunistischen Vergiftung der öffentlichen Meinung nur durch eine konsequente Aufklärung der Bevölkerung und die Aufdeckung der Wahrheit entgegengewirkt werden kann. Tatsächlich gelang es dieser Gruppe in den 1980er Jahren eine Reihe kommunistischer Desinformationskampagnen aufzudecken und zu entschärfen, jedoch war ihr Erfolg nur von vorübergehender Natur.(49) Die »aktiven Maßnahmen« Moskaus wurden bis zum Zerfall der Sowjetunion nur geringfügig gestört.




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Russische Desinformation heute


Nun sollte man meinen, dass mit dem Ende des Kommunismus in Osteuropa und mit dem Zerfall der Sowjetunion auch die Arbeit der sowjetischen Desinformation eingestellt wurde, schließlich gab sich Moskau seit Beginn der 1990er Jahre große Mühe, sich offiziell als »strategischer Partner des Westens« darzustellen, doch weit gefehlt! Nachdem der Westen das kommunistische Feindbild in den Jahren der »Wende« verloren hatte, wurde zwar die Arbeit des »Project Truth« eingestellt, aber das hatte lediglich zur Folge, dass die russischen Desinformationsabteilungen für die Verbreitung ihrer zersetzenden Falschmeldungen heute bessere Bedingungen vorfinden als je zuvor. Tatsächlich setzt die russische Desinformation ihre Arbeit auch heute noch ununterbrochen fort. Eine Studie der Hanns-Seidel-Stiftung aus dem Jahr 2000 stellte fest, dass beim russischen Auslandsgeheimdienst nach wie vor ein für Desinformation und Aktivmaßnahmen zuständiger Dienst existiert.(50)

Bestätigt wird dies durch den früheren KGB-Offizier Konstantin Preobrazhensky der 2003 in den USA um politisches Asyl bat. Weitere Details über die fortgesetzte russische Desinformation offenbarte der ehemalige KGB/SWR-Oberst Sergei Tretyakov, der im Jahr 2000 die Seiten wechselte. Wie Oberst Tretyakov berichtete, wurde der »Dienst A« während der Transformation des sowjetischen Geheimdienstes KGB zum russischen Auslandsgeheimdienst SWR im Jahr 1991 nicht aufgelöst, sondern lediglich in »Abteilung für Unterstützungsmaßnahmen« umbenannt, und zwar unter Beibehaltung derselben Mitarbeiter, die schon beim KGB die Desinformationsoperationen durchgeführt hatten.(51) Zu dem Schluss, dass der Kreml seinen Desinformationskrieg gegen die westlichen Staaten nach dem Zerfall der Sowjetunion ununterbrochen fortgesetzt hat, war im Jahr 1992 auch schon ein Bericht der United States Information Agency an den US-Kongress gekommen. »Es zeigt sich« so heißt es darin, »dass trotz des Untergangs der KPdSU, große Teile ihrer Desinformationsmaschinerie überlebt haben und weiter operieren.«(52) Der Bericht betont, dass nicht nur die Arbeit der Desinformationsabteilungen selbst ununterbrochen fortgesetzt wurde, auch die sowjetischen Strukturen, über welche die subversiven Lügen im Ausland verbreitet wurden, blieben weiterhin aktiv.(53)

Zu den vom Geheimdienst kontrollierten Medien als Multiplikatoren der Moskauer Desinformation gesellen sich inzwischen auch rotchinesische Medien, von denen dieselben antiwestlichen Lügen aufgegriffen und weiterverbreitet werden, denn das »ex«-kommunistische Moskau und das noch immer kommunistische Peking bilden heute eine vereinte antiwestliche Allianz.(54) Konstantin Preobrazhensky schrieb über seine früheren Arbeitgeber im russischen Geheimdienst: »Obwohl die Tschekisten in ihrem Herzen auch heute noch Kommunisten sind, können sie es nicht riskieren, einen westlichen Linksintellektuellen dazu aufzufordern, für die Ideale Lenins zu kämpfen. Da der Westler tatsächlich glaubt, dass Russland mit dem Kommunismus abgeschlossen hat, wäre er bei solch einer Doppelzüngigkeit verwirrt. Daher gehen die Tschekisten ihre Rekrutierungen etwas anders an. Sie sagen: ›Lass uns zusammen gegen die amerikanische Vorherrschaft über die Welt kämpfen!‹ Viele fallen darauf herein.«(55)
 
Obwohl sich die Etiketten also geringfügig verändert haben – man lügt heute nicht mehr für den Sieg des Kommunismus, sondern nur noch unter dem Vorwand des Antiimperialismus – hat sich der Inhalt der kommunistischen Desinformation und auch die Art und Weise ihrer Verbreitung durch Einflussagenten und »nützliche Idioten« nicht im Geringsten geändert. KGB/SWR-Oberst Sergei Tretyakov wurde vom russischen Auslandsgeheimdienst in den 1990er Jahren als stellvertretender Resident in New York eingesetzt und er berichtete, wie die ihm unterstellten Agenten auch Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges von anonymen Internetzugängen aus Desinformationsmaterial auf Webseiten veröffentlichten und per Email an westliche Massenmedien verschickten. Er schrieb: »Manches Propagandamaterial wurde als Lehrmaterial oder wissenschaftliche Studien getarnt. Diese Berichte waren raffinierte Dokumente, die den Anschein erweckten, als seien sie von europäischen Akademikern oder Wissenschaftlern an Universitäten und respektabel klingenden Forschungseinrichtungen in Übersee verfasst worden. Tatsächlich existierten diese Wissenschaftler gar nicht. Das Material war im Hauptquartier von russischen Experten ausgearbeitet worden. Diese Berichte waren zu 99% korrekt, aber enthielten immer einen Kern Desinformation, welche die russische Außenpolitik befürwortete. Dieses Material wurde an amerikanische Gruppierungen verteilt, welche die Regierung kritisierten, besonders an Umweltschutzorganisationen, Gegner der Weltbank und Menschenrechtsaktivisten. Unser Ziel war, Zwietracht und Unfrieden innerhalb der USA und antiamerikanische Emotionen im Ausland zu säen.«(56)

Noch immer gibt es in Russland keine freie Presse, noch immer unterhält der russische Geheimdienst eine für Desinformation zuständige Abteilung und noch immer kommen verdächtige Individuen in den russischen Staatsmedien zu Wort, wo sie Phrasen und Parolen verbreiten, die perfekt mit den strategischen Zielen der alten sowjetischen Desinformation übereinstimmen. Welche Schlüsse aus diesen Fakten zu ziehen sind, sei jedem Leser selbst überlassen, aber bei eingehender Betrachtung der Fakten zwingt sich der Eindruck auf, dass die kommunistische Desinformation heute erfolgreicher funktioniert als je zuvor. Lassen wir zum Abschluss den US-Politologen Jeff Nyquist zu Wort kommen, der schrieb: »Eine zufällig verbreitete Lüge mag harmlos sein, solange sich dahinter keine zielgerichtete Strategie verbirgt, aber eine koordinierte Lügenkampagne, die von Geheimagenten gestartet und von Tölpeln ewig weitergetragen wird, ist kein Kinderspiel.«(57)


(1) Auftrag: Irreführung S.15
(2) Secret Servant S.301ff
(3) The KGB and Soviet Disinformation S.1f
(4) Geheimwaffe D S.40
(5) Geheimwaffe D S.105f
(6) Geheimwaffe D S.37 / Geheimwaffe D S.156
(7) Auftrag: Irreführung S.19
(8) Geheimwaffe D S.37
(9) And Reality Be Damned... S.192ff
(10) Geheimwaffe D S.104
(11) Auftrag: Irreführung S.40
(12) Auftrag: Irreführung S.40f
(13) Geheimwaffe D S.104
(14) Auftrag: Irreführung S.40
(15) Geheimwaffe D S.169f
(16) The New Image-Makers S.23f
(17) Geheimwaffe D S.156
(18) Soviet Active Measures in The ‚Post-Cold War‘ Era 1988-1991
(19) Geheimwaffe D S.105f
(20) Auftrag: Irreführung S.25
(21) Geheimwaffe D S.44
(22) Secret Servant S.301ff
(23) KGB/FSB’s New Trojan Horse S.63
(24) Red Cocaine S.144
(25) Black is Beautiful S.1f
(26) The KGB and Soviet Disinformation S.46ff
(27) The KGB and Soviet Disinformation S.46ff
(28) Soviet Subversion of the Free Press – A Conversation with Yuri Bezmenov
(29) Wall Street Journal 7.8.2007 – Propaganda Redux
(30) Secret Servant S.360f
(31) Geheimwaffe D S.106f
(32) Geheimwaffe D S.23f
(33) The KGB and Soviet Disinformation S.46ff
(34) Geheimwaffe D S.43f
(35) Geheimwaffe D S.106f
(36) The KGB and Soviet Disinformation S.218
(37) Geheimwaffe D S.106f
(38) Geheimwaffe D S.109f
(39) Wall Street Journal 7.8.2007 – Propaganda Redux
(40) Geheimwaffe D S.109f
(41) Soviet Active Measures in The ‚Post-Cold War‘ Era 1988-1991
(42) Speznas S.137
(43) Yuri Bezmenov Februar 1979 - Stages of Subversion
(44) Wall Street Journal 7.8.2007 – Propaganda Redux
(45) And Reality Be Damned... S.88
(46) Love letter to America S.23f
(47) Soviet subversion of the free press a conversation with Yuri Bezmenov
(48) The KGB and Soviet Disinformation S.45
(49) The New Image-Makers S.5f
(50) Hanns Seidel Stiftung – Analyse 17: Die heutige Spionage Russlands
(51) Comrade J S.194f
(52) Soviet Active Measures in The ‚Post-Cold War‘ Era 1988-1991
(53) Soviet Active Measures in The ‚Post-Cold War‘ Era 1988-1991
(54) Soviet Active Measures in The ‚Post-Cold War‘ Era 1988-1991
(55) KGB/FSB’s New Trojan Horse S.26
(56) Comrade J S.194f
(57) http://www.jrnyquist.com/Right_Wing_Bolshevism_2.html


T
orsten Mann, Jahrgang 1976, ist politischer Publizist. Er vertritt die These, dass der Kommunismus zu Beginn der 1990er Jahre nicht untergegangen ist, sondern unter Beibehaltung seiner Ziele lediglich eine planmäßige Umgestaltung seiner Methoden vorgenommen hat.

 

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